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Zeugen gegen Vanzetti
 
   
 
Austin C. Cole, Straßenbahnfahrer: „Sacco und Vanzetti sind am Abend des 14. oder 15. April zugestiegen.“ 
   
Harry E. Dolbeare, geladen als Geschworener: „Vanzetti saß am vormittag des 15. April in einem Automobil mit anderen gefährlich aussehenden Leuten, das über den South Braintree Square fuhr.“
   
John W. Faulkner, Zugfahrgast: „Vanzetti fuhr mit im Zug, am Morgen des 15. April, und ist bei East Braintree ausgestiegen.“ 
   
Austin T. Reed, junger Schrankenwärter in Matfield: „Vanzetti saß am Beifahrersitz des (Flucht-)Wagens. Er schrie mich aufgebracht an, als ich den Wagen pflichtgemäß anhielt.“
   
Michael Levangie, Schrankenwärter des South Braintree-Bahnübergangs: „Vanzetti war der Fahrer des Gangsterautos.“
   
  Die Zeugen gegen Sacco.
  Zurück in den Gerichtssaal.
 
     
 
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Austin C. Cole war Fahrer der Straßenbahn, in der Sacco und Vanzetti am 5. Mai 1920 verhaftet wurden. Auch am 14. beziehungsweise 15. April war er unterwegs auf der Strecke zwischen Bridgewater und Brockton. Abends seien Sacco und Vanzetti zugestiegen.  100%ig  sicher war er bei der Identifizierung nicht - und für den Überfall in South Braintre ist seine Beobachtung ohnehin bezüglich Zeit und Ort irrelevant.

 
     
 
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Harry E. Dolbeare meldete sich unter den geladenen Geschworenen zu Beginn des Prozesses überraschend zu Wort und sagte aus, den Angeklagten Vanzetti zwischen 10 und 12 Uhr am 15. April 1920 neben anderen Personen in einem Automobil gesehen zu haben. An die anderen Insaßen des Fahrzeugs konnte er sich nicht mehr erinnern – abgesehen davon, dass sie einen gefährlichen Eindruck auf ihn gemacht hatten. Weder das Auto noch die Insaßen brachte er direkt mit dem Raubüberfall in Verbindung.

 
     
 
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John W. Faulkners Aussage: Um 9.23 bestieg er in Cohasset einen Zug. Er bemerkte einen Mann mit schwarzen Schnurrbart und fremdländischer Erscheinung. Dieser Mann, der eine schwarze Tasche bei sich trug, fragte Faulkner praktisch bei jedem Halt, ob dies East Braintree sei. Er stieg um ca.  9.54 bei der Station East Braintree aus. Vor Gericht identifizierte er Vanzetti als diesen Mann.

Faulkners  Aussage wurde durch Bahnangestellte widersprochen: Der Fahrkartenverkäufer von East Braintree sagte aus, einen großen, dunklen Mann mit schwarzer Tasche öfter bei seiner Station austeigen gesehen zu haben, sogar einige Male, allerdings erst nach dem 15. April. Vanzetti sei nicht dieser Mann.

Der Schaffner des Zuges gab an, dass am fraglichen Tag im fraglichen Zug keine Fahrscheine von der Gegend Plymouth (wo Vanzetti lt. Staatanwaltschaft zugestiegen sein sollte) nach Braintree gelöst wurden. Von den Fahrkartenverkäufern in Plymouth wurde dies bestätigt. Vanzetti wollte niemand erkennen.

Die erste Identifierung durch Faulkner fand um den 20. Juli 1920 im Gefängnis von Plymouth bei einer Gegenüberstellung statt. (Die einzige Gegenüverstellung mit weiteren – insgesamt 5 – Personen, die in dem Fall stattfand.) Faulkner hatte ein Bild Vanzettis bei dieser Gegenüberstellung bereits bei sich. Auch konnte er sich später nicht erinnern, ob die anderen Personen neben Vanzetti rasiert waren oder einen Schnurrbart trugen.

 
     
 
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Austin T. Reed meldete sich selbst kurz nach der Verhaftung der beiden auf der Polizeistation und identifizierte Vanzetti an Ort und Stelle. Er gab an, selbst ein wenig über den Raubüberfall recherchiert zu haben, wollte aber bis zu Gegenüberstellung kein Foto der beiden in den Zeitungen gesehen haben.

Seine Aussage: Um 16:15 Uhr hielt er, als sich ein Zug näherte, pflichtgemäß am Bahnübergang Matfield – etwa zwanzig Meilen von South Braintree entfernt – einen Wagen an. Der Beifahrer schrie ihn an: „Warum zum Teufel halten Sie uns auf!“ Der Wagen überquerte die Schienen und kam nach einigen Minuten wieder zurück, wobei derselbe Mann ihn mit denselben Worten anschrie. Im Gericht identifizierte er Vanzetti als diesen Beifahrer.

Im Kreuzverhör mit Moore gab Reed an, die Stimme trotz laufendem Motors und herannahendem Zug über eine Distanz von etwa vierzig Fuß gut gehört zu haben. Auf die Frage, ob das Englisch des Zurufers fehlerfrei gewesen wäre, antwortete Reed (vor die Wahl gestellt, Ja oder Nein) mit „Ja“. Vanzetti sprach 1920 jedoch nur schlechtes, gebrochenes Englisch.

 
     
 
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Nur Micheal Levangie behauptete, die Vebrecher gesehen zu haben, bevor Sacco und Vanzetti verhaftet wurden. Nur Levangie gab an, Vanzetti im Gangsterauto gesehen zu haben. Kein anderer Zeuge identifizierte ihn sonst am Ort des Überfalls.

Doch selbst die Staatsanwaltschaft räumte einen entscheidenden „Irrtum“ Levangies ein: Vanzetti, den Levangie letztlich eindeutig gesehen haben will, war mit Sicherheit nicht der Fahrer, sondern soll - laut Williams im Eingangsplädoyer - neben, später - laut Katzmann im Schlusspädoyer - hinter dem Fahrer gesessen sein und sich soweit vorgebeugt haben, dass ihn Levangie für den Fahrer hielt. Katzmanns spätere Darstellung war notwendig geworden, nachdem andere Zeugenaussagen im Prozess keinen Zweifel daran ließen, dass jemand anderer als Vanzetti auf dem Beifahrersitz saß.

Die Aussagen des wichtigsten Zeugen der Anklage variierten zudem im Laufe der Zeit beträchtlich. Nach dem Überfall, drei Wochen vor Vanzettis Verhaftung, berichtet Timothy J. Collins, Reporter beim Boston Globe, über sein Interview mit Levangie: „Er sagte, er sah niemanden, er hatte zu viel Angst, um jemanden zu erkennen. […] „Alles was ich gesehen habe war der Lauf des verdammten Gewehrs…“
Henry McCarthy, Heizer einer Lokomotive, hatte den Überfall vom Wasserturm aus mitbekommen und berichtet über das Gespräch mit Levangie: „Er sagte, alles was er sehen konnte, war das Gewehr, und er ging in Deckung.“
Edward Carter, Arbeiter in der Slater and Morrill Fabrik in der Pearlstreet: „Er sagte, der Fahrer wäre ein heller Typ gewesen.“

Auf der Polizeistation Wochen später identifizierte er Vanzetti als Fahrer des Wagens.
In der Verhandlung in Dedham, widerum Monate danach, beschrieb er den Fahrer wie Vanzetti, der ihm im Gericht gegenübersaß: „Ein dunkler Mann, mit markanten Wangenknochen, schwarzem Haar, buschigen braunen Schnurrbart, Schlapphut, einen Mantel der Armee.“

Ein Protokoll aus den Untersuchungsunterlagen der Staatsanwaltschaft, datiert auf den 17. April 1920, führt tatsächlich Levangies Aussage, wonach er den Fahrer gesehen und dieser einen dunklen Teint, dunkelnbrauen Schnurrbart, einen Schlapphut und einen braunen Mantel trug. Der Wortlaut der Beschreibung deckt sich fast völlig mit jener im Prozess dreizehn Monate später, jedoch nicht mit anderen seiner Aussagen direkt nach dem Überfall. Da das Protokoll erst 1927 vorgelegt wurde, äußerten Mitglieder des Verteidigungsteams ernsthafte Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit.

Am 18. April befragte ein Beauftragter der Pinkerton-Detektiv-Agentur Levangie, der eine genaue Beschreibung des Fahrers gab, der aber diesmal „glattrasiert“ gewesen sein soll. Außerdem sprach er von einer „langen Hakennase“ und „stämmigen Körperbau“. 

Am 21. April 1920 gab die Polizei eine offizielle Beschreibung der Täter aus, bei der auch die damalige Aussage Levangie berücktsichtigt wurde. Es findet sich keine Übereinstimmung mit Vanzetti; alle Beteiligten des Überfalls werden als glattrasiert beschrieben.